Und führe uns in Versuchung - Pfarrer Anselm Burr holt die umstrittene Ausstellung "Ecce Homo" in seine Kirche Gottes Sohn Jesus in Stöckelschuhen und inmitten einer bunten Schar Transvestiten; Jesus als Aidskranker, der an der Infusionsflasche hängt; Jesus nackt, wie Gott ihn schuf, zärtlich umfangen von Johannes, seinem Täufer: Ohne Zweifel, die Bilder der schwedischen Fotografin Elisabeth Ohlson bergen Zündstoff. Unter dem Titel «Ecce Homo» - Was für ein Mensch beziehungsweise Mann! - präsentiert die 39-jährige bekennende Christin und Lesbe zwölf Szenen aus der Lebens- und Leidensgeschichte Jesus Christus, die sie im Umfeld von homosexuellen Männern und Frauen, Prostituierten und Transvestiten arrangiert und aufgenommen hat. In ihrer Heimat löste die Ausstellung geharnischte Proteste, aber auch begeisterte Reaktionen aus. Nach der Vernissage in Stockholm musste die Künstlerin 1998 wegen Bombendrohungen wiederholt unter Polizeischutz gestellt werden. Von «Blasphemie», «Pornografie» und «einer Geschmacklosigkeit sondergleichen» war die Rede. Trotzdem haben in Schweden schon über 160 000 Menschen Ohlsons grossformatige Bilder betrachtet, für die die Künstlerin inzwischen mehrfach ausgezeichnet wurde. Als sie eingeladen wurde, diese gar in der Domkathedrale von Uppsala, dem Sitz des lutherischen Erzbischofs Karl Gustav Hammar zu zeigen, schaltete sich der Papst ein. Dessen Unmut gipfelte darin, dass er Hammar den geplanten Vatikan-Besuch kurzerhand strich. Im Mai wird «Ecce Homo» das Publikum auch in der Schweiz polarisieren. Anselm Burr, einer der Pfarrer der City-Kirche «Offener St. Jakob» am Stauffacher in Zürich, und Jutta Müller, Präsidentin der reformierten Kirchenpflege Zürich-Aussersihl, holen die Bilder in ihr Gotteshauses, was für viele eine Provokation an sich ist. Dabei war der 52-jährige Burr anfangs nicht einmal begeistert von der künstlerischen Qualität der Werkserie - und rang lange mit sich, ob er sich überhaupt auf den absehbaren Balanceakt begeben sollte. Um eine Entscheidung fällen zu können, verschaffte er sich einen Überblick über die Ausdrucksformen der schwul-lesbischen Kultur. Sein Fazit: «Auch wenn mir diese Bilder fremd sind, repräsentieren sie einen Teil homosexueller Lebensart und haben damit ihre Berechtigung.» Schliesslich definiere er «die City-Kirche Offener St. Jakob als einen Ort ausdrücklicher Grenzgängerei, auf der Suche nach Nahtstellen zwischen Religion und anderen, in sich abgeschlossenen Lebensbereichen». Der Zürcher Pfarrer erhofft sich von der Ausstellung Impulse auf Menschen, die in seiner Gemeinde leben, sich «aber schon seit langem aus der Kirche ausgeklinkt haben». Um diese zu erreichen, so Burr, müsse die Kirche Bilder, Rituale und Feiern kreieren, die der Erfahrungswelt ihrer Adressaten entsprächen. «Ecce Homo» sei ein Beispiel für einen solchen Kulturtransfer. Dieser solle dazu beitragen, «dass zum Beispiel gläubige Homosexuelle ihr Coming Out wagten». Die Fotoserie zeige ja auf unmissverständliche Art, dass sich Jesus zu allen Menschen geselle und ihnen mit Wohlwollen begegne, unabhängig davon ob sie schwul, lesbisch, Transvestiten, Prostituierte oder aidskrank seien. Blasphemie, also Gotteslästerung, können weder Burr noch Müller im Werk Ohlsons erkennen. «Ganz im Gegenteil», konstatiert die Kirchenpflegepräsidentin mit Nachdruck, zeugten diese doch von «Zärtlichkeit, Ernsthaftigkeit, aber auch durch den Witz, mit dem die Darsteller und Darstellerinnen die zwölf biblischen Szenen spielten, von grosser Ehrfurcht vor Jesus». Auch den Vorwurf der Pornografie lässt der Pfarrer und die Kirchenpflege-Präsidentin Müller nicht gelten. «Pornografie zerlegt den menschlichen Körper in Einzelteile, die getrennt von der Person zu einem entfremdeten Mittel der sexuellen Stimulation werden», sagt Burr. Auf allen «Ecce Homo»-Bildern aber seien die Menschen «ganz und in voller Würde dargestellt». Damit setzt die Ausstellung den «in den letzten Jahren eingeschlagenen Kurs der reformierten Kirche gegenüber homosexuellen Männern und Frauen fort», sagt Müller. Dessen Hauptmerkmale seien Öffnung und Verständnis für eine Gruppe von Menschen, die auch von der Kirche während Jahrhunderten ausgegrenzt worden seien. Nicht zuletzt die Dämonisierung der Krankheit Aids als eine Strafe Gottes zeuge von dem lange Zeit gestörten Verhältnis der Kirche zur Sexualität. Genau an diesem Punkt wurde seinerzeit auch der Widerstandswille der schwedischen Fotografin Elisabeth Ohlson geweckt. Sie konnte es nicht länger ertragen, mit welcher Härte, ja Gnadenlosigkeit Kirchenvertreter ihren an Aids sterbenden Freunden begegneten und diese im Stich liessen. Mit ihrem Werk, an dem sie zwei Jahre lang gemeinsam mit über 135 Menschen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis arbeitete, wollte sie ein provokatives Zeichen dagegen setzen, mithin auch ein Zeichen der Wiedergutmachung und Reue. Dass «Ecce Homo» eine Provokation darstellt, nimmt Anselm Burr gern in Kauf. «Die Bilder sollen das Publikum irritieren, Sehgewohnheiten in Frage stellen und dazu anregen, das eigene Christusbild zu überdenken», sagt er. Auf diese Art werde ein Prozess ausgelöst, von dem sich der Pfarrer letztlich eine integrative Wirkung verspricht: «Wir wollen das Bild einer Kirche vermitteln, die Menschen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Lebensgefühlen wahrnimmt und in ihren Reihen begrüsst.» Mit dieser Haltung stiess Burr nicht nur auf Zustimmung. Als er die Veranstalter der «EuroGames 2000», des polysportiven Grossanlasses für Schwule und Lesben in Zürich, anfragte, ob sie «Ecce Homo» in ihr kulturelles Rahmenprogramm aufnehmen würden, zeigten ihm diese die kalte Schulter. Man beschied ihm, die EuroGames 2000 hätten sich «ein Maximum an Integrationsarbeit zum Ziel gesetzt». Deren Organisatoren erachteten es daher «als ungeschickt, unnötig zu provozieren» und nahmen Distanz zu «Ecce Homo». Viele verstanden den Entscheid; schliesslich hat der schwul-lesbische Grossanlass auch so schon gegen grosse Widerstände zu kämpfen. Ein Teil der Gay Community aber zeigte sich irritiert über die prompte Anpassungsbereitschaft ihrer Schwestern und Brüder - und fragte sich, wo deren Mut zum Anderssein geblieben ist. Dass der reformierte Kirchenrat des Kantons Zürich auf Distanz zu «Ecce Homo» ging, überraschte weit weniger. Ähnlich wie die «EuroGames»-Veranstalter machten seine Vertreter geltend, dass die zum Teil «deftigen Bilder» (Kulturbeauftragter Philippe Dätwyler) nicht Anlass zu einer «produktiven Auseinandersetzung mit einem wichtigen Thema» würden, sondern höchstens dazu führten, dass sich viele Kirchgänger «aufregten und abwendeten». Insbesondere die Tatsache, dass die Ausstellung in einem Kirchenraum gezeigt wird, in dem auch Gemeindegottesdienste stattfinden, empfindet der Kirchenrat gemäss Dätwyler als problematisch: «Weil dadurch Menschen in ihren religiösen Gefühlen verletzt werden könnten.» Da die einzelnen Kirchgemeinden aber autonom über Veranstaltungen befinden, blieb dem Kirchenrat nichts anderes übrig, als Pfarrer Burr walten zu lassen. Kirchlichen Institutionen wie dem Zürcher Aidspfarramt untersagte der Kirchenrat allerdings die Teilnahme am Patronatskomitee. Deren Angestellten wie dem Aidspfarrer Guido Schwitter blieb es jedoch unbenommen, sich als Einzelperson für die Durchführung der Ausstellung zu engagieren. Für den katholischen Seelsorger sind Ohlsons Bilder «wunderschöne, wichtige Kunstwerke, auf denen erstmals zentrale biblische Texte aus der Sicht der schwul-lesbischen Lebenskultur fotografisch dargestellt werden». Darüber hinaus werde Jesus für einmal als ganzer Mann mit einer Sexualität präsentiert. Das sei zweifellos ein Tabubruch, der möglicherweise Menschen in ihren religiösen Gefühlen verletzen könne; andere aber, konstatiert Schwitter, werden aufatmen und sagen: «Endlich!» Sonntags-Zeitung, 26. März 2000
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